Die Rückkehr der Angst an den Märkten
Kapitalmärkte bewegen sich aufgrund von Liquidität und Psychologie, hat einmal ein bekannter Börsenguru gesagt. Schwierig wird es dann, wenn sowohl die Marktliquidität (durch Aktionen der Notenbanken) als auch die Psychologie (Nachrichtenlage) gleichzeitig den Markt belasten. Dass die US-Notenbank Federal Reserve sich in einem Zinserhöhungszyklus befindet, ist bekannt. Auslöser der gestrigen Marktschwäche in den USA war daher vorrangig die Nähe der potenziell ersten 50-Basispunkte-Zinserhöhung am 4. Mai, eine Größenordnung, die es in diesem Jahrtausend noch nicht gegeben hat. Dazu kommt die Angst, dass die mittlerweile vom Geldmarkt eingepreisten 50-Basispunkte-Zinserhöhungen auf den nächsten 3 Fed-Sitzungen nicht ausreichend sein werden. So prognostiziert die Deutsche Bank seit heute, dass die US-Kurzfristzinsen 5-6% erreichen werden. Das Risiko einer Rezession in den USA steigt damit für 2023 deutlich an.
Der Verkaufsdruck an den Aktienmärkten hat in den letzten Tagen wieder deutlich zugenommen, obwohl die europäischen Börsen in der letzten Woche – bis zum Donnerstag – auf Erholungskurs waren. Neben der gestrigen Nachrichtenlage (Gaslieferstopp nach Polen und Bulgarien) waren es fundamentale Gründe, die den US-Markt gestern in eine Ausverkaufsstimmung münden ließen: Nach den Enttäuschungen der großen US-Banken zu Beginn der Berichtssaison für das 1. Quartal war es gestern mit Alphabet (Google) ein Indexschwergewicht aus dem Technologiesektor, dass enttäuscht hat. Nein, die Zahlen waren nicht dramatisch schlecht, zeigen aber, dass Kostendruck in der US-Volkswirtschaft die Margen sinken lässt und/oder wie im Fall von Alphabet zu niedrigeren Werbeeinnahmen führt. Dies ist grundsätzlich nicht überraschend, wohl aber hinsichtlich des frühen Zeitpunkts im US-Konjunkturzyklus.
Gleichzeitig ist keine Verbesserung der Lage in Asien und den aufstrebenden Volkswirtschaften sichtbar. China erlebt eine bizarre Corona-Situation. Diese ist zwar bei uns medial in den Hintergrund getreten, führt aber mit seinen extremen Lockdown-Maßnahmen, wie derzeit in Shanghai, zu erneuten, starken Auswirkungen auf die Abfertigungen in den dortigen Seehäfen sowie die globalen Lieferketten. Letztendlich sind die Logistik-Probleme der letzten 2 Jahre noch nicht abgearbeitet, sodass der neuerliche Lockdown zusätzliche Bremsspuren in einer ohnehin angeschlagenen Weltwirtschaft hinterlassen werden. Möglicherweise droht Peking ein ähnlicher Lockdown wie schon Shanghai. Die chinesische Administration versucht zwar mit Geld- und Fiskalpolitik gegenzusteuern, was allerdings nur eingeschränkt gelingt, wie der Kursrückgang von 24% beim MSCI China-Index in 2022 zeigt.
Leider ist die Situation in Europa noch komplizierter, da der Einfluss des Krieges hier noch direkter zu spüren ist. Die Friedensgespräche haben bisher keinerlei Erfolg gebracht. Diplomatische Erfolge des Westens sind ebenfalls nicht zu verzeichnen. Eine Lösung, wie eine Verhandlungslösung mit Putin erreicht werden könnte, ist nicht absehbar, ebenso wie ein Rückzug Putins ohne „Gesichtsverlust“. Der russische Feiertag am 9. Mai erhöht den Druck auf die russische Seite, militärische Erfolge vorzuweisen. Gleichzeitig leidet die kontinentaleuropäische Konjunktur. Noch heute hat die Bundesregierung die 2022er Wachstumsprognose auf 2,2% gesenkt, das Konsumentenvertrauen hierzulande schwindet dramatisch. Ein immer wahrscheinlicher werdender russischer Stopp der Gaslieferungen würde die deutsche Konjunktur in eine tiefe Rezession stürzen.
Die Kombination dieser Faktoren, zyklisch wie kurzfristig taktisch, überfordert aktuell die Börse!
Wie geht es weiter?
Unserer Meinung nach könnte sich der aktuelle Verkaufsdruck noch verstärken und für noch tiefere Kurse sorgen, falls es bei den obigen Themen keine Entspannung gibt. Dabei ist möglicherweise das Verhalten der Notenbanken noch „am einfachsten“ zu prognostizieren. Bei der US-Federal Reserve ist eine vorsichtigere Vorgehensweise denkbar, sollte sich abzeichnen, dass die wirtschaftliche Entwicklung jenseits des Atlantiks in Gefahr gerät oder durch die Zinserhöhungen ein großer Vermögensverlust entsteht, insbesondere mit Blick auf den Immobilienmarkt und den Aktienmarkt. Währenddessen erwarten wir von der Europäischen Zentralbank keine signifikanten Schritte. Hinsichtlich des Ukrainekrieges ist es vermutlich realistischer, von einem weiteren und länger andauernden Krieg auszugehen, der sich im „worst-case“ sogar territorial ausbreiten könnte. China wird möglicherweise sein Covid-Problem nur in den Griff bekommen, wenn es – mit Gesichtsverlust – westliche Impfstoffe importiert oder die No-Covid-Strategie aufgibt. Beides erscheint aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich.
Die hohe Unsicherheit hinsichtlich der geopolitischen Lage erschwert das anspruchsvolle makroökonomische Umfeld weiter. Eine Prognose hinsichtlich des Spannungsfeldes vom Ukrainekrieg bis zur Situation in China ist kaum vertretbar. Wir werden aus diesen Gründen weiter „auf Sicht fahren“ und deutlich höhere als übliche Kassenquoten beibehalten, uns neben der strategischen Sicht aber auch opportunistisch verhalten. Denn die Erfahrung lehrt uns, dass die Aktienmärkte gerade in Phasen einer „Überflutung mit negativen Nachrichten“ eine starke Tendenz zu Erholungen haben können. Der Anstieg von über 1.000 Punkten im DAX-Index am 9. März 2022 ist dafür ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit. Aus diesem Grund raten wir aktuell davon ab, sich zu sehr von der nachvollziehbaren, emotionalen Stimmung leiten zu lassen. Auch ein Blick auf die Ereignisse ab März 2020 zeigt, wie schnell und für viele unerwartet die Stimmung drehen kann und die Kurse plötzlich wieder stark ansteigen können.
Durch unseren Fokus in der Anlagestrategie auf Sektoren, Märkte und Regionen, regelmäßig umgesetzt über ETF, sind wir sehr schnell und flexibel in der Umsetzung. Dadurch wird auch ein denkbares, komplettes Abrutschen bei Einzeltiteln verhindert, denn viele ehemalige Börsenstars hatten schon vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine ihre Talfahrt von manchmal mehr als 50% begonnen. Wir sind davon überzeugt, dass die aktuellen Belastungen noch einige Zeit anhalten können, die anschließende Erholung dann aber auch wieder wie in der Vergangenheit diejenigen belohnen wird, die mit vernünftigem Risikomanagement und klarem Blick auf ihre Strategie an ihren Zielen festgehalten haben.