Kommentar zur aktuellen Kapitalmarktlage
Mit der Silicon Valley Bank haben wir am letzten Wochenende die zweitgrößte Bankenpleite in der Historie der USA erlebt. Was war passiert?
Im scharfen Wettbewerb um Kundeneinlagen hat die Silicon Valley Bank höhere Zinsen gezahlt als sie bei ihren Investments in langlaufenden US-Staatsanleihen und Hypothekenanleihen selbst erzielen konnte. In solchen Marktphasen spricht man von einer inversen Zinsstrukturkurve. Dies ist nichts Außergewöhnliches in Zeiten steigender Leitzinsen. Im Rahmen ihrer Zinssteuerung gibt es für Banken genügend Instrumente, solche Schieflagen zu vermeiden. Offenkundig hat bei der SVB das Risikomanagement versagt, sodass Milliardenverluste entstanden sind. Mit der Silvergate Bank und der Signature Bank wurden zwei weitere, kleinere Banken ebenfalls von den US-Behörden geschlossen. Stehen wir nun vor einer erneuten Finanzmarktkrise wie einst 2008 bei Lehman Brothers? Die gute Nachricht vor ab: Mit der Lehman-Krise hat die aktuelle Situation nur wenig Gemeinsamkeiten, denn damals lag mit dem heiß gelaufenen US-Immobilienmarkt ein sehr konzentriertes Risiko vor, was heute so nicht der Fall ist.
Ungefährlich ist die aktuelle Situation aber nicht, denn trotz hektischer Suche konnte für das schwächelnde Institut kein Käufer gefunden werden, lediglich die HSBC hat sich bereit erklärt, die englische Tochter der SVB für ein symbolisches Pfund zu übernehmen. Um einen unkontrollierten „Bank Run“ zu vermeiden, wurden die Einlagen der Kunden der SVB von den USA über eine Notfallregelung garantiert, nicht nur die gesetzlich garantierten $ 250.000 pro Anleger.
Positiv zu vermerken sind die zügigen Aktivitäten der US-Behörden, die die Gefahren offenkundig schnell erkannt haben. Neben der Garantie der Kundeneinlagen hat die US-Administration weitere Maßnahmen zur Sicherstellung der Bankenliquidität getroffen: So können Kreditinstitute zum Nennwert (und nicht zum niedrigeren Marktwert) Anleihen bei der Notenbank einreichen, um sich zu refinanzieren. Die Garantie aller Depositen ist allerdings nach unserer Einschätzung keine gute Lösung: Auch die USA kennen eine ähnliche Einlagensicherung wie wir. Diese beträgt in den USA $ 250.000, deutlich höher als in vielen anderen Ländern. Springt der Staat nun anstelle der Einlagensicherung ein, werden die Regeln (abermals) außer Kraft gesetzt. Warum soll ich mir als Kunde einer Bank dann noch Gedanken über die Qualität der Bank machen?
Warum ist die aktuelle Lage trotzdem nicht ungefährlich? Die Finanzwirtschaft ist global verflochten. Banken unterhalten untereinander Konten, teilweise riesige Linien im Interbankengeschäft. Fällt ein Institut, kann das einen Dominoeffekt ausüben. Das ist generell die Angst der Bankenaufsicht, mit allen Folgen für die Realwirtschaft. Die jahrzehntelang zu niedrigen Zinsen haben in vielen Teilen der Wirtschaft zu Verhältnissen geführt, die in einem normalen Umfeld nicht gesund sind. Ein Beispiel ist die Immobilienwirtschaft, in der wir in Deutschland mit den steigenden Zinsen auch schon eine signifikante Marktveränderung erfahren.
Generell liegt das Risiko für Aktienmärkte wie für die Konjunktur im gestiegenen Zinsniveau, denn dieses wirkt mit einer gewissen Zeitverzögerung. Denn: Noch nie in der Geldpolitik wurden die Zinsen so schnell so kräftig angehoben.
Damit befinden wir uns in einem gigantischen Experiment, dessen Ausgang noch ungewiss ist. Und die sozialen Medien tragen ihren Teil dazu bei – Informationen, egal ob wahr oder unwahr, verbreiten sich in Windeseile. Auch hierzulande werden die gestiegenen Zinsen ihre Wirkung auf die Realwirtschaft nicht verfehlen.
Wie geht es nun weiter, nachdem der DAX in der Spitze bereits mehr als 5% korrigiert hat? Die US-Administration kehrt die Scherben zusammen, kündigt einerseits eine stärkere Bankenregulierung an, andererseits werden weitere Kreditlinien für schwächelnde Institute zur Verfügung gestellt. Mit Blick auf die gestiegenen Zinsen und auch auf den (hoch-)verschuldeten US-Konsumenten wird eine kräftige US-Rezession wahrscheinlicher. US-Notenbank-Chef Jerome Powell hat nun in der kommenden Woche bei der nächsten Notenbanksitzung die Qual der Wahl: Erhöht er weiter die Zinsen und vergrößert damit das Problem oder verzichtet er aus aktuellem Anlass auf eine Zinserhöhung und schafft damit weitere Unruhe am Markt („Was weiß er, was der Markt noch nicht weiß…“)
Und Europa? Die EZB hat heute den Leitzins – wie angekündigt – um 0,5% auf 3,5% erhöht. Die EZB will den Eindruck schaffen, dass in der Eurozone alles normal weiterläuft, die Inflationsbekämpfung Vorrang hat und die US-Probleme nicht die unsrigen sind. Für die Eurozone mag das vielleicht gelten, aber die Ereignisse um die Credit Suisse zeigen, dass auch europäische Banken trotz regulatorischer Aufsicht schnell von einer regulären Refinanzierung abgeschnitten sein können. Nur liegt das Problem der Credit Suisse weniger in den gestiegenen Zinsen, sondern seit Langem in einem wenig erfolgreichen Geschäftsmodell, dass zu erheblichem Mittelabfluss geführt hat. Auch hier hat die Notenbank den Ernst der Lage erkannt und mit einer Kreditlinie von mehr als 50 Milliarden Schweizer Franken dringend benötigte Liquidität zur Verfügung gestellt. Nicht nur der Schweiz ist klar, dass die Bank systemrelevant ist und für die Reputation des Finanzplatz Schweiz eine große Bedeutung hat.
Hoffnung muss aus daher sinkenden Inflationsdaten kommen. Der Rückgang des Ölpreises unter $70 pro Barrel ärgert nicht nur Putin, sondern schafft geldpolitischen Spielraum. Allerdings ist dies ein langwieriger Prozess, wie die US-Inflation für den Februar zeigt, die zwar auf 6% gefallen ist, während die unterliegende Kerninflaton weiter (zu) hoch bleibt. Das Idealszenario wäre, dass die Inflation so schnell zurückkommt, dass die Geldpolitik weniger restriktiv operieren kann und somit eine starke Rezession vermieden werden könnte. Im Ergebnis haben die Notenbanken jetzt die schwierige Aufgabe, zwischen systemischen Risiken für den Finanzsektor (und damit auch für die Realwirtschaft) einerseits und der Inflationsbekämpfung durch höhere Zinsen andererseits, abzuwägen.
Da sich die europäischen Aktienmärkte trotz der Korrektur noch immer im Plus für das Jahr 2023 befinden, sind weitere Marktrückgänge nicht auszuschließen. Die nächsten Wochen können noch „ruppig“ werden, bevor der 2022er-Bärenmarkt im Jahresverlauf zum Ende kommen könnte. Bis dahin operieren wir tendenziell defensiv, mit begrenzten Investments in Europa, dass zumindest geldpolitisch den USA hinterherläuft. Mit dem gestiegenen Zinsniveau stellen (US)-Anleihen mit kurzen Laufzeiten, teilweise und je nach Kreditqualität, mit Renditen oberhalb von 5% durchaus interessante Anlagen dar. Aber auch auf der Aktienseite gibt es Hoffnungsschimmer: Nahezu unbemerkt haben sich Tech-Giganten wie Amazon oder Alphabet in dieser Woche deutlich befestigt, beide um rund 10%. Und auch der Krypto-Markt hat sich in dieser Krise bisher als sicher Hafen erwiesen: Schwächelt das Bankensystem, fließt das Geld in den Bitcoin.
Fazit: Die Zeiten ändern sich! Gerne stehen wir Ihnen für ein persönliches, ausführliches Gespräch zu Ihrer Strategie zur Verfügung.