Hump of the week: Europa am Scheideweg
Europa zwischen Stabilisierung, Stagnation und Strukturversagen
Autor: Carsten Vennemann, CFA, Geschäftsführer alpha beta asset management GmbH
Die Woche beginnt mit einer kleinen konjunkturellen Aufhellung: Der Sentix-Konjunkturindex für die Eurozone hat sich im Oktober sowohl bei der Einschätzung der aktuellen Lage als auch bei den Erwartungen verbessert. Doch insgesamt bleiben jedoch sowohl der Gesamtindex als auch die aktuelle Lagebewertung im negativen Bereich. Die Zahlen sprechen daher eher für eine Stabilisierung nach dem September-Absturz – nicht für eine echte Trendwende.
Frankreich unter Druck: Herabstufung und politische Blockade
Deutlich kritischer ist die Lage in Frankreich. Das Land befindet sich erneut in einer tiefen politischen Krise. Die Ratingagentur Fitch hat die Kreditwürdigkeit auf A+ gesenkt – während Spanien von S&P gleichzeitig auf A+ hochgestuft wurde. Frankreichs hohe Staatsverschuldung, kombiniert mit politischer Lähmung, dämpft jede Hoffnung auf Besserung.
Gleichzeitig zeigt eine Studie, dass sich die Ratings der Euro-Länder derzeit so wenig unterscheiden wie seit der letzten Schuldenkrise nicht mehr. Eine Entwicklung, die viele Beobachter mit Sorge betrachten – denn sie könnte auf eine zunehmende strukturelle Schwäche der Eurozone hindeuten.
Deutschland: Industrieproduktion bricht ein
Ein weiteres Warnsignal kommt aus Deutschland. Die Industrieproduktion ist im August um 4,3 % gegenüber dem Vormonat eingebrochen – der stärkste Rückgang seit 2022. Besonders betroffen ist die Automobilindustrie. Das Vertrauen in die politischen Reformversprechen sinkt spürbar: Die Hoffnung auf einen sogenannten „Herbst der Reformen“ schwindet. Die Dramatik der Lage scheint bei Teilen der Bundesregierung weiterhin nicht vollständig angekommen zu sein.
Anleihemärkte zeigen verschobene Risikobewertungen
Auch die Kapitalmärkte spiegeln die veränderten wirtschaftlichen Realitäten wider. Französische Staatsanleihenhandeln inzwischen rund 0,8 % über Bundesanleihen – und damit auf dem Niveau von Italien. Besonders bemerkenswert: Im 10-jährigen Laufzeitbereich zahlen Spanien und Griechenland mittlerweile niedrigere Zinsen als Frankreich. Der frühere Status als Kernland der Eurozone ist faktisch verloren.
Zugleich zeigt sich ein strukturelles Problem: Europa verfügt zwar über Know-how auf Weltniveau – etwa im Maschinenbau, in der Pharmaindustrie oder im Chemiesektor. Doch der globale Wettbewerb holt auf. Was fehlt, ist ein gemeinsamer politischer Wille, sich diesem Wettbewerb entschlossen zu stellen. Grüne Technologien mögen ein Anfang sein – sie werden allein aber nicht ausreichen.
Italien reformiert, Frankreich wankt, Skandinavien überzeugt
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat seinem bereits zurückgetretenen Premier weiterhin Zeit eingeräumt, eine parteiübergreifende Lösung zu finden. Der Ausgang ist offen. Lecornu ist bereits der fünfte Premierminister in nur zwei Jahren. Kommt es zu keiner Einigung, stehen Neuwahlen bevor. Ein Rücktritt Macrons vor dem regulären Amtszeitende gilt hingegen als unwahrscheinlich.
Ein Blick nach Nordeuropa zeigt, dass es auch anders geht: In Skandinavien und den Benelux-Staaten wurden die Rentenreformen rechtzeitig und konsequent angegangen. Die Bevölkerung dort zeigt oft eine deutlich höhere Reformbereitschaft – anders als in Frankreich oder Deutschland.
Eine weitere Überraschung liefert Italien. Unter Premierministerin Giorgia Meloni hat das Land seine jährliche Neuverschuldung deutlich reduziert – und nähert sich dem 3-Prozent-Ziel der EU an. Gleichzeitig ist der Gesamtschuldenstand im Verhältnis zum BIP um 20 % gesunken. Dies steht in starkem Kontrast zur Entwicklung in Deutschland und Frankreich, wo sich der Trend in die entgegengesetzte Richtung bewegt.
Fazit 1: Konjunktur mit Gegenwind
Die harten Wirtschaftsdaten in Deutschland überraschen auf der negativen Seite. Das dritte Quartal 2025 dürfte erneut rezessiv ausfallen. Hoffnung machen – in begrenztem Umfang – die Stimmungsindikatoren.
Fazit 2: Politische Blockade in den Kernstaaten
In Deutschland und Frankreich dominieren politische Blockaden. Wer an eine schnelle Verbesserung glaubt, braucht eine gehörige Portion Berufsoptimismus.
Fazit 3: Märkte steigen – trotz aller Unsicherheiten
Gestützt durch die nordamerikanischen und asiatischen Aktienmärkte steigen der DAX und der Euro-Stoxx-50 weiter. Gleichzeitig signalisiert der Preisanstieg bei Gold und Kryptowährungen zunehmende Nervosität und Unsicherheit unter Anlegern.
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